Das Team der Timaios-Gesellschaft aus Ettal

Bei netter Bedienung und gutem Essen besprachen wir am 4.2. in kleinerer Runde auch philosophische Themen. So kamen wir zum Beispiel im Verlauf des Gesprächs auf die Vorstellung des „Ich“, und ob man früher auch schon man selbst war, zu sprechen.

Herr Jurgeleit stellte eine interessante These auf: In Anlehnung an die augustinische distentio animi (Augustinus, Confessiones Buch X), die ja eine Dehnung des Augenblicks bedeutet, so dass man einer Gegenwart überhaupt inne werden kann, schlug er vor, das Bewusstsein von der Identität des Ichs könne in ähnlicher Weise gedacht werden: Das Ich sei durch die Dehnung von erlebten Augenblicken in prägnantere Momente belegt. Wenn man sich beispielsweise an ein romantisches Dinner erinnert, erinnere man sich nicht an die einzelnen Bissen, die man von seinem Essen nahm, oder die einzelnen Ich-liebe-Dichs, sondern an den gesamten Eindruck eines romantischen Dinners. Es entsteht der Eindruck einer Kohärenz, und diese Kohärenz macht das Ich-Bewusstsein aus.

Da man dieses emotionale, subjektive Bild eines Moments in seinem Kopf hat, das obendrein noch meist mit dem eigenen Charakter oder der eigenen charakteristischen Entwicklung kongruent ist, befanden wir diese These für ganz sinnvoll.

Dieses Modell hat sogar bei einer an Demenz erkrankten Person seine Gültigkeit. Eine solche Person hat, so ist zu vermuten, gleichermaßen einen Begriff von sich selbst – jedenfalls in den Stadien der Krankheit, in denen sie noch selbstständig handeln kann –, der aus der Dehnung der erlebten Augenblicke in der Vergangenheit gebildet ist. Dieses Ich-Bewusstsein hat einen gleichbleibenden Kern, auch wenn die Person die jüngsten Ereignisse nicht identifizieren, erinnern oder einordnen kann; denn auch der Demenzkranke verfügt über das Bewusstsein seiner Identität.

Bei mir sitzt diese Problematik immer noch tief, ihre verlockenden Aspekte kann man der These der distentio animi aber nicht absprechen. Am Ende des Abends bin ich also bei der Suche nach Definitionen wieder an einer sokratischen Aporie angelangt – sie auf einem interessanten Denkweg zu erreichen, war aber auf jeden Fall ein Vergnügen.


Autor: Ian Lämke

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